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Fukushima heute: Auf dem Weg zur Normalität von Stephanie und Michael Drewing

7. 10. 2021

 

Stephanie und Michael Drewing aus München haben in Japan ihre zweite Heimat gefunden. Mit den Erfahrungen von zahlreichen touristischen Reisen und einigen Jahren Leben in Japan, bloggen und podcasten beide als „The Hangry Stories“ über die japanische Küche und Reise-Inspiration. Die Region Tohoku und insbesondere die Präfektur Fukushima, besuchte das Paar bereits mehrfach. In Erinnerung blieben vor allem die persönlichen Geschichten der Menschen vor Ort, in denen immer wieder die Ereignisse und die Folgen des 11. März 2011 eine Rolle spielten.

 

10 Jahre ist es her, dass ein Erdbeben der Stärke 9,1 im Pazifischen Ozean vor der japanischen Küste einen Tsunami auslöste, der fast 20.000 Menschen das Leben kostete. Die Wucht dieses Ereignisses war so groß, dass ein solcher Beitrag ohne einleitende Worte, die darauf hinweisen, eigentlich gar nicht mehr denkbar ist. Die Katastrophe löste eine Kernschmelze in den Reaktoren von Fukushima-1 aus, aber vor allem erst einmal eine Flutkatastrophe enormen Ausmaßes. „Fukushima“ ist heute im Ausland vor allem mit der Atomkatastrophe verbunden, aber für uns steht es vor allem für den Wiederaufbau einer gesamten Region und für einen Kampf gegen das Vergessen.

 

Wir kommen gar nicht umhin, uns mit dieser Zäsur zu beschäftigen. An den Küsten Tohokus, zu der auch die gesamte Küste Fukushimas gehört, ist bis heute Wiederaufbau ein großes Thema. Zwar wurden die größten Zerstörungen mittlerweile beseitigt, aber die Nachwirkungen des Tsunamis werden auf Jahrzehnte sichtbar bleiben. Am 11. März 2011 wurden knapp 560 km² des japanischen Festlands vom Tsunami überspült. Dabei beschädigten oder zerstörten die Wassermassen über 470.000 Gebäude. Die Bilder der Zerstörungen gingen um die Welt, ganze Schiffe wurden kilometerweit ins Landesinnere gespült. In unmittelbarer Folge wurden etwa 4 Millionen Haushalte von der Stromversorgung abgeschnitten und 2,3 Millionen Haushalte hatten kein Trinkwasser.

 

Eine Infotafel warnt in einfacher Sprache davor, sich bei einem starken Erdbeben nicht in der Nähe von Flüssen und dem Meer aufzuhalten. © Stephanie Drewing

 

In Deutschland wird der 11. März auch als Tag der „Dreifachkatastrophe“ bezeichnet: Erdbeben, Tsunami und die Reaktorkatastrophe des Atomkraftwerks Fukushima-1. Letztere war eine Kernschmelze in drei Reaktorblöcken, eine Kettenreaktion, ausgelöst durch den Tsunami. Es kam zu Explosionen und dabei wurde Radioaktivität freigesetzt. Auf der internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES) wurde der Unfall in die höchste Stufe eingeordnet, gemeinsam mit Tschernobyl im Jahr 1986. In der Präfektur Fukushima wurden infolgedessen etwa 165.000 Personen evakuiert. Die meisten glaubten daran, dass sie am nächsten Tag in ihre Häuser zurückkehren dürfen. Einige von ihnen warten bis heute auf diesen Tag.

 

Fukushima heute: Ist Reisen in der Präfektur sicher?

 

Die Präfektur Fukushima hat in den Jahren nach der Dreifachkatastrophe sehr darunter gelitten, dass sie nicht mehr als sichere Reiseregion wahrgenommen wurde. Nach viel Recherche haben wir für uns entschieden: Man kann ohne Angst vor Radioaktivität in der Präfektur umherreisen. Die Strahlenbelastung ist außerhalb der Sperrzonen im größten Teil der Präfektur Fukushima heute innerhalb der Schwankungsbreite der jährlichen natürlichen Strahlenexposition, die wir in gleicher Intensität auch in Deutschland haben.

 

Unzugänglich ist eine Sperrzone von etwa 300 km² in der Nähe des havarierten Kernkraftwerks. Fukushima ist aber eine große Präfektur und misst fast 14.000 km². Die Sperrzone umfasst also nur einen kleinen Teil davon. Zudem hatte Japan großes Glück, wie Georg Steinhauser, Professor für physikalische Radioökologie an der Leibniz Universität Hannover erklärt: „Tschernobyl hat etwa zehnmal mehr Radioaktivität in die Umwelt freigesetzt als Fukushima. Dazu kommt, dass in Fukushima rund 80 Prozent aufs offene Meer hinausgetragen wurde.“

 

Die Folgen von Fukushima: Die Aufräumarbeiten dauern noch bis 2050

 

Rund 20 Kilometer um das Kraftwerk Fukushima wurde eine Sperrzone eingerichtet und die Bevölkerung evakuiert. Wer heute dort hindurch fährt, der kommt nicht umhin, riesige Mengen von großen schwarzen Säcken zu bemerken. In ihnen werden Laub, Unrat und die abgetragene oberste Erdschicht gesammelt. Der Inhalt der Säcke wird sortiert und für einige Jahre in Fukushima vergraben. Langfristig sollen aber Endlager-Lösungen im ganzen Land gefunden werden. Durch die Abtragung der Erde werden die gesperrten Gebiete dekontaminiert und können so Stück für Stück wieder freigegeben werden.

 

Die Aufräumarbeiten sollen laut der Betreiberfirma TEPCO noch bis 2050 andauern. In einem Bericht des BASE (Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung), der zum 10. Jahrestag der Katastrophe veröffentlicht wurde, können Interessierte auch weitere Informationen rund um das Thema finden.

 

Unklar ist allerdings immer noch, was mit dem kontaminierten Wasser passiert, das u. a. zur Kühlung der Atomanlage genutzt wird. Auf dem Werksgelände türmen sich die Tanks, in denen aufbereitetes Wasser gesammelt wird. Doch der Platz geht aus. TEPCO gibt an, dass die Lagerkapazitäten 2022 erschöpft sein sollen und halten an ihrem Plan fest, das Wasser ins Meer zu leiten. Die Bevölkerung wehrt sich gegen diese Pläne.

 

Ein Hauch von Hoffnung: Freigabe der evakuierten Gebiete der Sperrzone

 

Auch wenn die Dekontaminationsarbeiten noch nicht in der gesamten Sperrzone abgeschlossen sind, konnten bereits erste Gebiete wieder freigegeben werden. Nach der Dekontamination folgte die Infrastruktur. Im März 2015 wurde bereits eine nationale Express-Straße an der Küste wieder eröffnet und auch die JR Joban-Zuglinie, die direkt an der Küste entlangführte, ist seit März 2020 wieder komplett in Betrieb. Auch Stadtverwaltungen, Supermärkte, Krankenhäuser, Schulen und Freizeiteinrichtungen haben in den freigegebenen Gebieten den Betrieb wieder aufgenommen. Die Einwohnerzahlen stiegen langsam wieder an, aber viele ehemalige Bewohner kehrten nicht zurück. Es kamen die Alten, Alleinstehende aber auch Menschen, die Fukushima heute mit neuen Ideen wieder aufbauen wollen.

 

Bentenjima ist am Neujahrstag ein beliebter Ort, um den ersten Sonnenaufgang des Jahres zu betrachten. © Stephanie Drewing

 

Wir haben einen Mann mittleren Alters getroffen, der seinen Bürojob aufgegeben hat und in die Region gekommen ist. Heute lebt und arbeitet er als Gärtner in Namie und verkauft seine Blumen über die Präfekturgrenzen hinaus. Während er seine Geschichte mit uns teilte, merkten wir schnell, wie sehr ihn sein neues Leben erfüllt und wie wichtig es ihm scheint, diese Erfüllung gerade an in Fukushima gefunden zu haben.

 

Die Schulen bleiben dennoch vergleichsweise leer: Viele Familien haben sich in den vergangenen zehn Jahren an anderen Orten Japans ein neues Leben aufgebaut, das sie nicht mehr aufgeben wollen.

 

Wird die gesamte Sperrzone Fukushimas irgendwann wieder zugänglich sein? Wahrscheinlich schon. Aber: In einigen Gebieten wird die Wiederbesiedlung aus radiologischer Sicht voraussichtlich noch sehr lange warten müssen.

 

Fukushima heute: im Zeichen der Energiewende

 

Nach der Dreifachkatastrophe hat auch in Japan ein Umdenken eingesetzt und der Anteil der Atomenergie wurde in der Folge weiter reduziert. Zwar wird immer noch zu großen Teilen auf Gas und Kohle zurückgegriffen, aber der Anteil der erneuerbaren Energien ist gewachsen. Bis 2040 will die Präfektur Fukushima als Vorbild vorangehen und 100 Prozent auf regenerative Energien setzen. Sie sind auch bereits gut dabei: Viele Flächen in der Präfektur wurden bereits zu Solar- oder Windparks umgewidmet. Auch ein Forschungskraftwerk für Wasserstoff wurde in Namie, ebenfalls in der Präfektur Fukushima, symbolträchtig im März 2020 in Betrieb genommen.

 

Ein positives Beispiel des Wiederaufbaus: Naraha

 

Wer Fukushima heute besucht, findet an vielen Orten Geschichten, die Mut machen. Von Menschen, die an sich, ihre Heimat und deren Wiederaufbau glauben. Sie haben vor allem einen Wunsch: Das ihre Stimmen gehört und sie nicht vergessen werden. Der 11. März 2011 hat die Bewohner Tohokus geprägt und wir merkten auf unseren Reisen in die Region immer wieder, dass die Menschen Redebedarf haben. Dabei gab es neben solchen, die in ihre Heimat zurückgekehrt sind, auch immer wieder Menschen, die nach der Katastrophe zugereist sind und eine neue Heimat gefunden haben.

 

In Erinnerung blieb uns vor allem ein Besuch im neu errichteten Gemeindezentrum CANvas in Naraha. Die Stadt selbst wurde vom Erdbeben und dem Tsunami stark getroffen und in Folge der Atomkatastrophe komplett evakuiert. An eine Rückkehr war in den folgenden 4,5 Jahren nicht zu denken, da Naraha Teil der Sperrzone war. Als eines der ersten Gebiete wurde Naraha wieder für die Anwohner freigegeben. In den letzten Jahren wurde nicht nur die Infrastruktur wieder aufgebaut, es konnten auch viele Menschen aus Notunterkünften wieder in eigene Häuser ziehen. Heute leben hier wieder fast 6.700 Einwohner. Die Wege sind kurz, im neu entstandenen Stadtzentrum findet sich alles, was es zum täglichen Leben braucht. Die, die zurückgekommen sind, haben zusammen ein Gemeindezentrum errichtet. Jeder konnte daran mitwirken einen Ort der Gemeinsamkeit und des Austausches zu schaffen. Dort haben wir mit einer Angestellten sprechen können, die damals als Freiwillige zum Wiederaufbau in die Region gekommen ist. Heute lebt sie mit ihrem Mann gemeinsam in Naraha. Sie haben sich hier kennengelernt und ihre Heimat in Fukushima gefunden.

 

Das J-Village ist mit einem Stadion und zwölf Fußballplätzen die größte Sportanlage Japans. © Stephanie Drewing

 

Unweit des neuen Stadtzentrums von Naraha befindet sich auch das J-Village. Einst war es der Traum jedes Nachwuchsfußballers Japans. Es diente unter anderem als Trainings- und Ausbildungszentrum der japanischen Fußballnationalmannschaft. Nach dem 11. März 2011 wurde es von TEPCO als Hauptquartier für Mitarbeiter genutzt, da es nur 20 Kilometer südlich des Kraftwerks Fukushima-1 und damit am Rande der Sperrzone lag. Dass heute im J-Village wieder Fußball gespielt wird, ist ein Zeichen des Aufbruchs, welches im Rahmen der Olympischen Sommerspiele 2020/21 trotz der Corona-Krise in Japan große Beachtung fand.

 

Am Shukyu Schrein im J-Village beten junge Athleten für ihren sportlichen Erfolg. © Stephanie Drewing

 

Wer der Präfektur Fukushima eine Chance gibt, der wird es nicht bereuen. Es erwarten den Reisenden kleine und größere Städte mit spannenden Spuren der Samurai, einzigartige Natur mit Bergen, Hochebenen und dem Inawashiro-See, den viertgrößten See Japans, aber auch faszinierende Menschen und eine spannende Ausprägung der japanischen Kultur. Und nicht vergessen: Ein handbemaltes Akabeko als Reisesouvenir darf auf keinen Fall fehlen!

 

Hero Bild-Credit: © Michael Drewing

 

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