Shugendo und Yamabushi – Mystik Japans heiliger Natur und Berge von Josko Kozic
23. 03. 2023
Von heiligen Bergen aus in den Himmel fliegen, über Feuer laufen und mit magischen Beschwörungsformeln das Böse besiegen – In Japan kein Ding der Unmöglichkeit, zumindest wenn man den alten Legenden glauben möchte. Dass der Zauber der Yamabushi bis heute ganz echt ist, möchte uns Josko, der selbst angehender Yamabushi ist und zum Thema seine Doktorarbeit schreibt, in diesem folgenden Beitrag zeigen.
Eine Einführung in den Shugendo
Die wunderschöne Natur Japans hat schon bei so einigen seiner Besucher großen Eindruck geschindet, ja bei manchen sogar die Seele berührt. Das Land verfügt über eine Vielzahl an sogenannten „Orten der Kraft“ (powerspots) und nicht selten sind diese genau dort anzutreffen, wo die idyllische Natur gleichzeitig als sakraler Ort verehrt wird. Ob Schreine, Tempel oder als heilig betrachtete Berge, fast überall kann man diese besonderen Plätze vorfinden, sich in ihren Bann ziehen lassen, einmal innehalten und neue Energie schöpfen.
Genau hier befindet sich die Welt einer einzigartigen, religiösen Tradition, die es in Japan schon seit knapp tausend Jahren geben soll: Shugendo. Wörtlich übersetzen lässt sich der Name mit „Weg zur Erlangung wundersamer Kräfte“. Die Berge stehen dabei oft symbolisch als Mutterschoß und indem man sich in die Berge begibt, verlässt man sein bisheriges Leben und kehrt zurück zum Mutterschoß, man „stirbt“ also einmal und wird quasi gleich danach „wiedergeboren“. Shugendo praktizieren Menschen in ganz Japan, dabei auf teils sehr unterschiedliche Weise, ob in Tohoku im Dewa Sanzan-Gebirge, in Tokyo und seinem Berg Takaosan, ob in Kyoto, Nara und dem Yoshino-Gebirge, Osaka oder in Kyushu auf dem Shikoku-Pilgerweg. Allen ist jedoch eines gemein: sie nennen sich Yamabushi („die sich in den Bergen verbergenden“) oder Shugenja („Person, die wundersame Kräfte erlangt“). Gut zu wissen: Die einzigartige Schönheit einer sehr bedeutenden Region des Shugendo hat man inzwischen sogar zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt.
Oft wird der Begriff Shugendo auf deutsch als „Bergasketentum“ bezeichnet, da die Praktizierenden sich asketischen Übungen hingeben und diese meist in den Bergen stattfinden. Übungen also, die ein großes Maß an geistiger und körperlicher Energie abverlangen und beides zugleich stärken sollen. Eine weitere, eher irreführende Bezeichnung auf Deutsch lautet „Bergmönch“ und lässt fälschlicherweise vermuten, dass Shugendo nur von Männern praktiziert wird und dass man dafür ein klassischer „Mönch“ zu sein hat, welcher laut typischer Vorstellung dem weltlichen Leben komplett entsagt und als Einsiedler lebt. Dabei muss man als Yamabushi keinesfalls dauerhaft abgeschottet von der Welt leben, ganz im Gegenteil: viele Yamabushi sind berufstätig und gründen eigene Familien. Denn die härteste Übung der Yamabushi, wie viele von ihnen so oft bekräftigen, findet hier und jetzt im alltäglichen Leben statt!
Der Ursprung des Shugendo: von tiefen Bergwäldern, einem Einsiedler und Dämonen
Dunkel und nebulös muten die historischen Wurzeln des Shugendo an, nur eines ist sicher: als Gründer der Bewegung gilt der mit magischen Kräften ausgestattene, legendenumwobene Einsiedler En no gyoja. Dieser lebte auf dem Berg Katsuragi zwischen Wakayama und Osaka. Die gesamte Region samt ihrer Berge wird als heiliger Ort verehrt, jährlich versammeln sich dort unzählige Yamabushi, welche gemeinsam pilgern und für das wohl aller Menschen beten. Dem Einsiedler En no gyoja wurden übernatürliche Kräfte nachgesagt: So soll er bereits in frühen Jahren den Segen Buddhas erlangt und mit hilfeseiner magischen Kraft ein Dämonenpaar bezwungen haben, welche ihm seither treu als Helfer dienten. Der Legende nach leben die Nachfahren des Dämonenpaares im heutigen Örtchen Dorogawa (Präfektur Nara), wo sie einen traditionellen Gasthof (Ryokan) betreiben. Im Laufe der Jahrhunderte enwtickelte sich Shugendo zu einer faszinierenden, synkretistischen Mischreligion aus Traditionen des Shinto, des Tao (China) sowie des esoterischen Buddhismus, der selbst wiederum viele Rituale und Gottheiten aus dem indischen Hinduismus sowie tantrischen Buddhismus vereint. Ganz oft begegnet man deshalb an Orten des Shugendo der furchteinflößend und grimmig schauenden Gottheit Fudo Myo-o, welche als Gottheit all derjeniger verehrt wird, die sich asketischen Übungen hingeben, um die Erleuchtung bereits in diesem Leben zu erfahren. Auch wenn es hier wieder verschiedene Meinungen und Traditionen gibt lässt sich sagen, dass diesein grundlegendes Ziel der Yamabushi ist.
Von Feuerlauf bis Wasserfalltraining – Ritueller Alltag und Aufgaben der Yamabushi
So wie auch ihr Gründer, waren die Yamabushi im Verlauf der Geschichte zu einem Symbol für Mystik und übersinnliche Kräfte geworden. Man sagte ihnen nach, dass sie aufgrund ihrer durch spirituelles Training erworbenen Wunderkraft (genriki) übernatürliche Fähigkeiten besitzen, so wie zm Beispiel fliegen, über Wasser und Feuer laufen, hellsehen, Dämonen vertreiben oder Krankheiten heilen. Fakt ist, dass Yamabushi seither als Verbindungsstück zwischen dem Volk und den Göttern dienten, wobei sie den Menschen oft näher waren als Priester, da es an sich einfacher ist, ein Yamabushi zu werden als wenn man die Ausbildung zur Nonne, zum Mönch oder Priester anstrebt.
Ein Überbleibsel aus den Urzeiten des Shugendo bildet das sogenannte „Feuerlauf-Fest“ (hiwatari matsuri), bei welchem die Yamabushi ihre „übernatürliche“ Kraft demonstrieren, indem sie barfuß über glühende Kohlen und brennende Holzstämme laufen. Unglaublich, aber wahr: jeder kann bei dem Feuerlauf mitmachen, den es in fast ganz Japan an verschiedenen Orten zu sehen gibt und welcher als Tempelfest spektakulär zelebriert und nicht selten von Fernsehkameras aufgezeichnet wird. Das Feuer soll alle, die es überqueren, von weltlichen „Verunreinigungen“ befreien und ein Stück näher zur Erleuchtung bringen. Praktizierende des Shugendo streben stets nach einer Harmonie zwischen dem weltlichen Dasein im alltäglichen Leben und der Verbindung mit den Kräften der Natur. Die deutsche Yamabushi Alena Yushu Eckelmann (selbst Verfassin von Artikeln für JNTO auf Englisch) drückte es in einem Interview sehr passend aus:
„In der Natur sind Ausreden nutzlos. Du bist da und entweder schaffst du es oder du schaffst es nicht. Die Natur hört weder auf deine Rechtfertigung dafür, warum du diesen Berg nicht besteigen konntest noch zeigt sie Mitgefühl dafür, dass es dir heute womöglich nicht gut geht. Die Natur lehrt, stark zu sein und diese Kraft in sich selbst und in der Umwelt zu finden." (Englisches Zitat hier.)
Wichtige Rituale im Shugendo
- Anzünden eines heiligen Opferfeuers (goma) und das Hineinwerfen von hölzernen Wunschtäfelchen (goma-ki), auf denen die Wünsche der Menschen geschrieben stehen
- Gebete (kito) um Glück und Gesundheit an die unzähligen Gottheiten im Shugendo
- Wasserfallübungen, bei welchen man sich unter das sehr kalte Wasser stellt und betend meditiert (taki-gyo)
Shugendo und die Yamabushi repräsentierten schon damals einen wichtigen Teil der japanischen Bevölkerung, da sie für eine gewisse Form sozialer Strukturen im Land gesorgt haben. In der Moderne war Shugendo einer heftigen Krise ausgesetzt und erlebte fast eine komplette Auslöschung seiner Existenz zu der Zeit, als Japans Modernisierung in Form der sogenannten Meiji-Restauration (1848) stattfand und man viele religiöse Religionen als „nicht mehr zeitgemäßen Aberglauben“ absgetan und die Ausführung solcher verboten hat. Heute sieht das erfreulicherweise ganz anders aus und Shugendo sowie seine in ganz Japan verbreiteten, heiligen Orte versprühen neben ihrer einzigartigen Atmosphöre auch eine große Anziehungskraft auf Menschen aus aller Welt.
Shugendo heute: Spirituelles Training für alle Menschen
Heute finden sich im fast gesamten Land sehr viele, verschiedene Shugendo-Gruppen mit ihren jeweiligen Traditionen und Glaubensauslegungen. Ganz oft sind diese praktizierenden Gruppen an heilige Berge geknüpft, wie zum Beispiel die diversen Haguro-Schulen am gleichnamigen Berg Haguro in der nordöstlich gelegenen Präfektur Yamagata. Unglaublich faszinierend ist dabei, dass heute viele Shugendo-Gruppen sich vor Ort in verschiedensten Projekten engagieren, sich für die Umwelt einsetzen, ihre Heimatregion bei der Förderung des Tourismus unterstützen und sogar Menschen außerhalb ihrer Kreise, ja sogar von außerhalb Japans willkommen heißen und bei ihren Übungen teilnehmen lassen. Seitdem in Japan auch wieder mehr Menschen aufs Land ziehen, trifft man heutzutage auf einige Yamabushi, die von der Großstadt in ländliche Regionen gezogen sind und ihr Wissen mithilfer modernen Technik wie sozialen Netzwerken an ein großes Publikum vermitteln.
So wie seit langer Zeit ein weltweiter Trend zum Thema „Zen“ und „Waldbaden“ existiert, wird auch Shugendo immer beliebter und internationaler. Deshalb bemüht man sich auch in Japan, Shugendo einem internationalen Publikum zugänglich zu machen, allen voran ist dabei die Webseite des Katsuragi-Shugendo inklusive der vielzähligen Informationen sowie Flyer zu empfehlen.
Neben einigen ausländischen Praktizierenden in Japan gibt es auch Shugendo-Gruppen in den vereinigten Staaten sowie Yamabushi im deutschsprachigen Raum, darunter neben Alena Yushu Eckelmann auch Christian Grübl, dessen erste Buch über seinen Weg mit dem Titel „Im Sog Japans – vom Weg des Kämpfens, Scheiterns und Gewinnens“ erst neulich veröffentlich wurde.
Anlaufstellen für international ausgerichtete Yamabushi-Workshops in Japan
Für alle, die in Japan selber einmal an einem Yamabushi-Training teilnehmen und die Möglichkeiten Japans tiefer Spiritualität einmal ganz hautnah und für sich miterleben möchten, gibt es inzwischen mehrere Möglichkeiten, die euch an dieser Stelle nicht vorenthalten werden sollen.
- Yamagata: Yamabushido
- Osaka: „One day“-Training am Tempel des Berges Inunaki-san
Von Josko gibt es noch mehr Beiträge zum Beispiel über Onsen Abenteuer, Duftzeremonie, Tee-Experience oder Yabusame. Kontaktiert mich und das Team von Tagara gerne unter hello@tagara-japan.jp, wenn ihr Hilfe bei der Planung oder mehr Tipps zu diesen themen benötigt.